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Heinrich Heine
Der Schwabenspiegel

Veröffentlicht in »Jahrbuch für Literatur« (Hamburg), Bd. 1, 1839.




Der Schwabenspiegel

Vorbemerkung

Die hier mitgeteilten Blätter wurden im Beginn des Frühlings, als Nachrede zum zweiten Teil des »Buchs der Lieder« und mit der Bitte um schleunigsten Abdruck, nach Deutschland gesendet. Ich dachte nun, das Buch sei dort längst erschienen, als mir vor ein paar Wochen mein Verleger meldete, in einem süddeutschen Staate, wo er das Manuskript zur Zensur gegeben, habe man ihn während der ganzen Zeit mit dem Imprimatur hingehalten, und er schlüge mir vor, die Nachrede als besonderen Artikel in einer periodischen Publikation vorweg abdrucken zu lassen. Indem ich sie also in solcher Weise dem verehrungswürdigen Leser mitteile, glaube ich, daß er, ohne große Anstrengung seines Scharfsinns, erraten wird, warum ich seit zweiundeinhalb Jahren so vielen Schlichen und Ränken begegne, wenn ich jene. Denunziatoren besprechen will, die ihrerseits, ganz ohne alle Zensur- und Redaktionsbeschränkung, den größten Teil der deutschen Pressen mißbrauchen dürfen.

Paris, im Spätherbst 1838




Nach Brauch und Sitte deutscher Dichterschaft sollte ich meiner Gedichtsammlung, die den Titel »Buch der Lieder« führt und jüngst in erneutem Abdruck erschienen ist, auch die nachfolgenden Blätter einverleiben. Aber es wollte mich bedünken, als klänge in dem »Buch der Lieder« ein Grundton, der durch Beimischung späterer Erzeugnisse seine schöne Reinheit einbüßen möchte. Diese späteren Produktionen übergebe ich daher dem Publikum als besonderen Nachtrag, und indem ich bescheidentlich fühle, daß an dem Grundton dieser zweiten Sammlung wenig zu stören ist, füge ich ein dramatisches Gedicht hinzu, welches, in einer frühesten Periode entstanden, zu einer Reihe von Dichtungen gehört, die seitdem, durch betrübsames Mißgeschick, unwiederbringlich verlorengegangen sind. Dieses dramatische Gedicht (»Ratcliff«) kann vielleicht in der Sammlung meiner poetischen Werke eine Lakune füllen und Zeugnis geben von Gefühlen, die in jenen verlorenen Dichtungen flammten oder wenigstens knisterten.

Etwas Ähnliches möchte ich in Beziehung auf das »Lied vom Tannhäuser« andeuten. Es gehört einer Periode meines Lebens, wovon ich ebenfalls wenige schriftliche Urkunden dem Publikum mitteilen kann oder vielmehr mitteilen darf.

Der Einfall, dieses Buch mit einem Konterfei meines Antlitzes zu schmücken, ist nicht von mir ausgegangen. Das Porträt des Verfassers vor den Büchern erinnert mich unwillkürlich an Genua, wo vor dem Narrenhospital die Bildsäule des Stifters aufgestellt ist. Es war mein Verleger, welcher auf die Idee geraten ist, dem Nachtrag zum »Buch der Lieder«, diesem gedruckten Narrenhause, worin meine verrückten Gedanken eingesperrt sind, mein Bildnis voranzukleben. Mein Freund Julius Campe ist ein Schalk und wollte gewiß den lieben Kleinen von der schwäbischen Dichterschule, die sich gegen mein Gesicht verschworen haben, einen Schabernack spielen... Wenn sie jetzt an meinen Liedern klauben und knuspern und die Tränen zählen, die darin vorkommen, so können sie nicht umhin, manchmal meine Züge zu betrachten. Aber warum grollt ihr mir so unversöhnbar, ihr guten Leutchen? Warum zieht ihr gegen mich los in weitschweifigen Artikeln, woran ich mich zu Tode langweilen könnte? Was habt ihr gegen mein Gesicht? Beiläufig will ich hier bemerken, daß das Porträt im »Musenalmanach« gar nicht getroffen ist. Das Bild, welches ihr heute schaut, ist weit besser, besonders der Oberteil des Gesichtes; der untere Teil ist viel zu schmächtig. Ich bin nämlich seit einiger Zeit sehr dick und wohlbeleibt geworden, und ich fürchte, ich werde bald wie ein Bürgermeister aussehn; – ach, die schwäbische Schule macht mir soviel Kummer!

Ich sehe, wie der geneigte Leser mit verwunderten Augen um Erklärung bittet, was ich unter dem Namen »schwäbische Schule« eigentlich verstehe. Was ist das, die schwäbische Schule? Es ist noch nicht lange her, daß ich selber an mehre reisende Schwaben diese Frage richtete und um Auskunft bat. Sie wollten lange nicht mit der Sprache heraus und lächelten sehr sonderbar, etwa wie die Apotheker lächeln, wenn frühmorgens am ersten April eine leichtgläubige Magd zu ihnen in den Laden kömmt und für zwei Kreuzer Mückenhonig verlangt. In meiner Einfalt glaubte ich anfangs, unter dem Namen schwäbische Schule verstünde man jenen blühenden Wald großer Männer, der dem Boden Schwabens entsprossen, jene Rieseneichen, die bis in den Mittelpunkt der Erde wurzeln und deren Wipfel hinaufragt bis an die Sterne... Und ich frug: »Nicht wahr, Schiller gehört dazu, der wilde Schöpfer, der die ›Räuber‹ schuf? ...« – »Nein«, lautete die Antwort, »mit dem haben wir nichts zu schaffen, solche Räuberdichter gehören nicht zur schwäbischen Schule; bei uns geht's hübsch ordentlich zu, und der Schiller hat auch früh aus dem Land hinaus müssen.« – »Gehört denn Schelling zur schwäbischen Schule, Schelling, der irrende Weltweise, der König Artus der Philosophie, welcher vergeblich das absolute Montsalwatsch aufsucht und verschmachten muß in der mystischen Wildnis?« – »Wir verstehen das nicht«, antwortete man mir, »aber soviel können wir Ihnen versichern, der Schelling gehört nicht zur schwäbischen Schule.« – »Gehört Hegel dazu, der Geistesweltumsegler, der unerschrocken vorgedrungen bis zum Nordpol des Gedankens, wo einem das Gehirn einfriert im abstrakten Eis?...« – »Den kennen wir gar nicht.« – »Gehört denn David Strauß dazu, der David mit der tödlichen Schleuder?...« – »Gott bewahre uns vor dem, den haben wir sogar exkommuniziert, und wollte der sich in die schwäbische Schule aufnehmen lassen, so bekäme er gewiß lauter schwarze Kugeln.«

»Aber um des Himmels willen« – rief ich aus, nachdem ich fast alle große Namen Schwabens aufgezählt hatte und bis auf alte Zeiten zurückgegangen war, bis auf Kepler, den großen Stern, der den ganzen Himmel verstanden, ja, bis auf die Hohenstaufen, die so herrlich auf Erden leuchteten, irdische Sonnen im deutschen Kaisermantel – , »wer gehört denn eigentlich zur schwäbischen Schule?«

»Wohlan«, antwortete man mir, »wir wollen Ihnen die Wahrheit sagen: die Renommeen, die Sie eben aufgezählt, sind viel mehr europäisch als schwäbisch, sie sind gleichsam ausgewandert und haben sich dem Auslande aufgedrungen, statt daß die Renommeen der schwäbischen Schule jenen Kosmopolitismus verachten und hübsch patriotisch und gemütlich zu Hause bleiben bei den Gelbveiglein und Metzelsuppen des teuren Schwabenlandes.« – Und nun kam ich endlich dahinter, von welcher bescheidenen Größe jene Berühmtheiten sind, die sich seitdem als schwäbische Schule aufgetan, in demselben Gedankenkreise umherhüpfen, sich mit denselben Gefühlen schmücken und auch Pfeifenquäste von derselben Farbe tragen.

Der Bedeutendste von ihnen ist der evangelische Pastor Gustav Schwab. Er ist ein Hering in Vergleichung mit den anderen, die nur Sardellen sind; versteht sich, Sardellen ohne Salz. Er hat einige schöne Lieder gedichtet, auch etwelche hübsche Balladen; freilich, mit einem Schiller, mit einem großen Walfisch, muß man ihn nicht vergleichen. Nach ihm kommt der Doktor Justinus Kerner, welcher Geister und vergiftete Blutwürste sieht und einmal dem Publikum aufs ernsthafteste erzählt hat, daß ein Paar Schuhe, ganz allein, ohne menschliche Hülfe, langsam durch das Zimmer gegangen sind, bis zum Bette der Seherin von Prevorst. Das fehlt noch, daß man seine Stiefel des Abends festbinden muß, damit sie einem nicht des Nachts trapp! trapp! vors Bett kommen und mit lederner Gespensterstimme die Gedichte des Herrn Justinus Kerner vordeklamieren! Letztere sind nicht ganz und gar schlecht, der Mann ist überhaupt nicht ohne Verdienst, und von ihm möchte ich dasselbe sagen, was Napoleon von Murat gesagt hat, nämlich: »Er ist ein großer Narr, aber der beste General der Kavallerie.« Ich sehe schon, wie sämtliche Insassen von Weinsberg über dieses Urteil den Kopf schütteln und mit Befremden mir entgegnen: »Unser teurer Landsmann, Herr Justinus, ist freilich ein großer Narr, aber keineswegs der beste General der Kavallerie!« Nun, wie ihr wollt, ich will euch gern einräumen, daß er kein vorzüglicher Kavalleriegeneral ist.

Herr Karl Mayer, welcher auf Latein Carolus Magnus heißt, ist ein anderer Dichter der schwäbischen Schule, und man versichert, daß er den Geist und den Charakter derselben am treuesten offenbare; er ist eine matte Fliege und besingt Maikäfer. Er soll sehr berühmt sein in der ganzen Umgegend von Waiblingen, vor dessen Toren man ihm eine Statue setzen will, und zwar eine Statue von Holz und in Lebensgröße. Dieses hölzerne Ebenbild des Sängers soll alle Jahr mit Ölfarbe neu angestrichen werden, alle Jahr, im Frühling, wenn die Gelbveiglein düften und die Maikäfer summen. Auf dem Piedestal wird die Inschrift zu lesen sein: »Dieser Ort darf nicht verunreinigt werden!«

Ein ganz ausgezeichneter Dichter der schwäbischen Schule, versichert man mir, ist Herr *** – er sei erst kürzlich zum Bewußtsein, aber noch nicht zur Erscheinung gekommen; er habe nämlich seine Gedichte noch nicht drucken lassen. Man sagt mir, er besinge nicht bloß Maikäfer, sondern sogar Lerchen und Wachteln, was gewiß sehr löblich ist. Lerchen und Wachteln sind wahrhaftig wert, daß man sie besinge, nämlich wenn sie gebraten sind. Über den Charakter und respektiven Wert der ***schen Dichtungen kann ich, solange sie noch nicht zur äußeren Erscheinung gekommen sind, gar kein Urteil fällen ebensowenig wie über die Meisterwerke so vieler anderen großen Unbekannten der schwäbischen Schule.

Die schwäbische Schule hat wohl gefühlt, daß es ihrem Ansehen nicht schaden würde, wenn sie neben ihren großen Unbekannten, die uns nur vermittels eines Hydrogasmikroskops sichtbar werden, auch einige kleine Bekannte, einige Renommeen, die nicht bloß in der umfriedeten Heimlichkeit schwäbischer Gauen, sondern auch im übrigen Deutschland einige Geltung erworben, zu den Ihrigen zählen könnte. Sie schrieben daher an den König Ludwig von Bayern, den gekrönten Sänger, welcher aber absagen ließ. Übrigens ließ er sie freundlich grüßen und schickte ihnen ein Prachtexemplar seiner Poesien mit Goldschnitt und Einband von rotem Maroquinpapier. Hierauf wandten sich die Schwaben an den Hofrat Winkler, welcher unter dem Namen Theodor Hell seinen Dichterruhm verbreitet hat; dieser aber antwortete, seine Stellung als Herausgeber der »Abendzeitung« erlaube ihm nicht, sich in die schwäbische Schule aufnehmen zu lassen, dazu komme, daß er selber eine sächsische Schule stiften wolle, wozu er bereits eine bedeutende Anzahl poetischer Landsleute engagiert habe. In ähnlicher Weise haben auch einige berühmte Oberlausitzer und Hinterpommern die Anträge der schwäbischen Schule abgewiesen.

In dieser Not begingen die Schwaben einen wahren Schwabenstreich, sie nahmen nämlich zu Mitgliedern ihrer schwäbischen Schule einen Ungar und einen Kaschuben. Ersterer, der Ungar, nennt sich Nikolaus Lenau und ist, seit der Juliusrevolution, durch seine liberalen Bestrebungen, auch durch den anpreisenden Eifer meines Freundes Laube, zu einer Renommee gekommen, die er bis zu einem gewissen Grade verdient. Die Ungarn haben jedenfalls viel dadurch verloren, daß ihr Landsmann Lenau unter die Schwaben gegangen ist; indessen, solange sie ihren Tokaier behalten, können sie sich über diesen Verlust trösten.

Die andere Akquisition der schwäbischen Schule ist minder brillant; sie besteht nämlich in der Person des gefeierten Wolfgang Menzel, welcher unter den Kaschuben das Licht erblickt, an den Marken Polens und Deutschlands, an jener Grenze, wo der germanische Flegel den slawischen Flegel versteht, wie der alte Voß sagen würde, der alte Johann Heinrich Voß, der ungeschlachte, aber ehrliche sächsische Bauer, der, wie in seiner Gesichtsbildung, so auch in seinem Gemüte, die Merkmale des Deutschtums trug. Daß dieses bei Herrn Wolfgang Menzel nicht der Fall ist, daß er weder dem Äußeren noch dem Inneren nach ein Deutscher ist, habe ich in der kleinen allerliebsten Schrift »Über den Denunzianten« gehörig bewiesen. Ich hätte, beiläufig gestanden, diese kleine Schrift nicht herausgegeben, wenn mir die Abhandlungen über den selben Gegenstand, die großen Bomben von Ludwig Börne und David Strauß, vorher zu Gesicht gekommen wären. Aber dieser kleinen Schrift, welche die Vorrede zum dritten Teile des »Salons« bilden sollte, ward von dem Zensor dieses Buches das Imprimatur verweigert – »aus Pietät gegen Wolfgang Menzel« – , und das arme Ding, obgleich in politischer und religiöser Beziehung zahm genug abgefaßt, mußte während sieben Monaten von einem Zensor zum andern wandern, bis es endlich notdürftig unter die Haube kam. Wenn du, geneigter Leser, das Büchlein in der Buchhandlung von Hoffmann und Campe zu Hamburg selber holst, so wird dir dort mein Freund Julius Campe bereitwillig erzählen, wie schwer es war, den »Denunzianten« in die Presse zu bringen, wie das Ansehen desselben durch gewisse Autoritäten geschützt werden sollte und wie endlich durch unableugbare Urkunden, durch ein Autograph des Denunzianten, das sich in den Händen von Theodor Mundt befindet, der Titel meiner Schrift aufs glänzendste gerechtfertigt wird. Was der Gefeierte dagegen vorgebracht hat, ist dir vielleicht bekannt, mein teurer Leser. Als ich ihm, Stück vor Stück, die Fetzen des falschen Patriotismus und der erlogenen Moral vom Leibe riß – da erhub er wieder ein ungeheures Geschrei: die Religion sei in Gefahr, die Pfeiler der Kirche brächen zusammen, Heinrich Heine richte das Christentum zugrunde! Ich habe herzlich lachen müssen, denn dieses Zetergeschrei erinnerte mich an einen andern armen Sünder, der auf dem Marktplatz zu Lübeck mit Staupenschlag und Brandmark abgestraft wurde und plötzlich, als das rote Eisen seinen Rücken berührte, ein entsetzliches Mordio erhob und beständig schrie: »Feuer! Feuer! Es brennt, es brennt, die Kirche steht in Flammen!« Die alten Weiber erschraken auch diesmal über solchen Feuerlärm, vernünftige Leute aber lachten und sprachen: »Der arme Schelm! nur sein eigner Rücken ist entzündet, die Kirche steht sicher auf ihrem alten Platze, auch hat dort die Polizei, aus Furcht vor Brandstiftung, noch einige Spritzen aufgestellt, und aus frommer Vorsorge darf jetzt in der Nähe der Religion nicht einmal eine Zigarre geraucht werden!« Wahrlich, das Christentum ward nie ängstlicher geschützt als eben jetzt.

Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht um. Ein, dem Gerüchte zu widersprechen, als habe Herr Wolfgang Menzel, auf Andrang seiner Kollegen, sich endlich entschlossen, jene Großmut zu benutzen, womit ich ihm gestattete, sich wenigstens von dem Vorwurf der persönlichen Feigheit zu reinigen. Ehrlich gestanden, ich war immer darauf gefaßt, daß mir Ort und Zeit anberaumt würde, wo der Ritter der Vaterlandsliebe, des Glaubens und der Tugend sich bewähren wolle in all seiner Mannhaftigkeit. Aber leider bis auf diese Stunde wartete ich vergebens, und die Witzlinge in deutschen Blättern mokierten sich obendrein über meine Leichtgläubigkeit. Spottvögel haben sich sogar den Spaß erlaubt, mir im Namen der unglücklichen Gattin des Denunzianten einen Brief zu schreiben, worin die arme Frau sich über die häuslichen Nöten, die sie seit dem Erscheinen meiner kleinen Schrift zu erdulden habe, schmerzlich beklagt. Jetzt sei gar kein Auskommen mehr mit ihrem Manne, der zu Hause zeigen wolle, daß er ein Held sei. Die geringste Anspielung auf Feigheit brächte ihn zur Wut. Eines Abends habe er das kleine Kind geprügelt, weil es »Häschen an der Wand« spielte. Jüngst sei er wie rasend aus der Ständekammer gekommen und habe wie ein Ajax getobt, weil dort alle Blicke auf ihn gerichtet gewesen, als die Gesetzfrage, »ob man jemanden ungestraft dem öffentlichen Gelächter preisgeben dürfe«, diskutiert wurde. Ein andermal habe er bitterlich geweint, als einer von den undankbaren Juden, die er emanzipieren wolle, ihm ins Gesicht gemauschelt: »Sie sind doch kein Patriot, Sie tun nichts fürs Volk, Sie sind nicht der Ätte, sondern die Memme des Vaterlandes.« Aber gar des Nachts beginne der rechte Jammer, und dann seufze er und wimmere und stöhne, daß sich ein Stein drob erbarmen könnte. Das sei nicht länger zum Aushalten, schloß der angebliche Brief der armen Frau, sie wolle lieber sterben als diesen Zustand länger ertragen, und um der Sache ein Ende zu machen, sei sie erbötig, statt ihres furchtsamen Gemahls sich selber mit mir zu schlagen. Gehorsame Dienerin.

Als ich diesen Brief las und in meiner Einfalt die offenbare Mystifikation nicht gleich merkte, rief ich mit Begeisterung: »Edles Weib! würdige Schwäbin! würdig deiner Mütter, die einst zu Weinsberg ihre Männer huckepack trugen!«

Die Weiber im Schwabenlande scheinen überhaupt mehr Energie zu besitzen als ihre Männer, die nicht selten nur auf Geheiß ihrer Ehehälften zum Schwerte greifen. Weiß ich doch eine schöne Schwäbin, die mir seit Jahren wütender als zwanzig Teufel den Krieg macht und mich mit unversöhnlicher Feindschaft verfolgt.

Ein Naturforscher hat ganz richtig die Bemerkung gemacht, daß im Sommer, besonders in den Hundstagen, weit mehr gegen mich geschrieben wird als im Winter.

Daß es nicht die altpoetische Vornehmigkeit ist, welche mich davon abhält, dergleichen Angriffe zu besprechen, habe ich bereits an einem anderen Orte erwähnt. Einesteils liegt mir ein gewisser Knebel im Munde, sobald ich mich gegen Anschuldigung von Immoralität oder irreligiöser Frivolität oder gar politischer Inkonsequenz, durch Erörterung der letzten Gründe von all meinem Tichten und Trachten, verteidigen wollte. Anderenteils befinde ich mich meinen Widersachern gegenüber in derselben Lage, die Freund Semilasso irgendwo in seiner afrikanischen Reisebeschreibung mit der richtigen Empfindung erwähnt. Er erzählt uns nämlich, daß, als er in einem Beduinenlager übernachtete, rings um sein Zelt eine große Menge Hunde unaufhörlich bellten und heulten und winselten, was ihn aber am Schlafen gar nicht gehindert habe; »wär es nur ein einziger Kläffer gewesen«, setzt er hinzu, »so hätte ich die ganze Nacht kein Auge zutun können.« Das ist es: weil der Kläffer so viele sind und weil der Mops den Spitz, dieser wieder den gemütlichen Dachs, letzterer das edle Windspiel oder die fromme Dogge überbellt und die schnöden Laute der verschiedenen Bestien im Gesamtgeheul verlorengehen, kann mir ein ganzer Hundelärm wenig anhaben.

Nein, Herr Gustav Pfizer ebensowenig wie die anderen hat mir jemals den Schlaf gekostet, und man darf es mir aufs Wort glauben, daß bei Erwähnung dieses Dichterlings auch nicht die mindeste Bitterkeit in meiner Seele waltet. Aber ich kann ihn, der Vollständigkeit wegen, nicht unerwähnt lassen; die schwäbische Schule zählt ihn nämlich zu den Ihrigen, was mir sonderbar genug dünkt, da er, im Gegensatze zu dieser Genossenschaft, mehr als reflektierende Fledermaus denn als gemütlicher Maikäfer umherflattert und viel mehr nach der Schillerschen Totengruft als nach Gelbveiglein riecht. Mir wurden mal seine Gedichte aus Stuttgart zugeschickt, und die freundlichen Begleitungszeilen veranlaßten mich, einen flüchtigen Blick hineinzuwerfen; ich fand sie herzlich schlecht. Dasselbe kann ich auch von seiner Prosa sagen; sie ist herzlich schlecht. Ich gestehe freilich, daß ich nichts anderes von ihm gelesen habe als eine Abhandlung, die er gegen mich geschrieben. Sie ist geistlos und unbeholfen und miserabel stilisiert; letzteres ist um so unverzeihlicher, da die ganze Schule die Materialien dazu kotisiert. Das Beste in der ganzen Abhandlung ist der wohlbekannte Kniff, womit man verstümmelte Sätze aus den heterogensten Schriften eines Autors zusammenstellt, um demselben jede beliebige Gesinnung oder Gesinnungslosigkeit aufzubürden. Freilich,der Kniff ist nicht neu, doch bleibt er immer probat, da von seiten des angefochtenen Autors keine Widerlegung möglich ist, wenn er nicht etwa ganze Folianten schreiben wollte, um zu beweisen, daß der eine von den angeführten Sätzen humoristisch gemeint der andere zwar ernst gemeint sei, aber sich auf einen Vordersatz beziehe, der ihm eben seine richtige Bedeutung verleiht; daß ferner die aneinandergereihten Sätze nicht bloß aus ihrem logischen, sondern auch aus ihrem chronologischen Zusammenhang gerissen worden, um einige scheinbare Widersprüche hervorzuklauben; daß aber eben diese Widersprüche von der höchsten Konsequenz zeugen würden, wenn man Zeitfolge, Zeitumstände, Zeitbedingungen bedächte – ach! wenn man bedächte, wie die Strategie eines Autors, der für die Sache der europäischen Freiheit kämpft, wunderlich verwickelt ist, wie seine Taktik allen möglichen Veränderungen unterworfen, wie er heute etwas als äußerst wichtig verfechten muß, was ihm morgen ganz gleichgültig sein kann, wie er heute diesen Punkt, morgen einen andern zu beschützen oder anzugreifen hat, je nachdem es die Stellung der Gegenpartei, die wechselnden Allianzen, die Siege oder die Niederlagen des Tages erfordern!

Das einzige Neue und Eigentümliche, was ich in der obenerwähnten Abhandlung des Herrn Gustav Pfizer gefunden habe, war hie und da nicht bloß eine listige Verkehrung des Wortsinnes meiner Schriften, sondern sogar die Fälschung meiner Worte selbst – dieses ist neu, ist eigentümlich, wenigstens bis jetzt hat man in Deutschland noch nicht einen Autor mit verfälschten Worten zitiert. Doch Herr Gustav Pfizer scheint noch ein junger Anfänger zu sein, es juckt ihm zwar die Begabnis des Fälschens in den Fingern, doch merkt man an ihm noch eine gewisse Befangenheit in der Ausübung, und wenn er z.B. »Hostien« zitiert statt der gewöhnlichen »Oblaten« des Originaltextes oder mehrmals »göttlich« zitiert statt des ursprünglichen »vortrefflich« – so weiß er doch noch nicht recht, welchen Gebrauch er von solcher Fälschung machen kann. Er ist ein junger Anfänger. Aber sein Talent ist unleugbar, er hat es hinlänglich offenbart, die geziemendste Anerkennung darf ihm nicht verweigert werden, er verdient, daß ihm Wolfgang Menzel, mit der tapferen Hand, seinen schäbigsten Lorbeerkranz aufs Haupt drückt.

Indessen, ehrlich gestanden, ich rate ihm, sein Talent nicht bedeutender auszubilden, Es könnte ihn einst das Gelüste anwandeln, jenes edle Talent auch auf außerliterärische Gegenstände anzuwenden. Es gibt Länder, wo dergleichen mit einem Halsband von Hanf belohne wird. Ich sah zu Old Bailey in London jemanden hängen, der ein falsches Zitat unter einen Wechsel geschrieben hatte – und der arme Schelm mochte es wohl aus Hunger getan haben, nicht aus Büberei oder aus eitel Neid oder gar, um eine kleine Lobspende im Stuttgarter »Literaturblatt«, ein literärisches Trinkgeld, zu verdienen. Ich hatte deshalb Mitleid mit dem armen Schelm, bei dessen Exekution sehr viele Zögerungen vorfielen. Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, daß das Hängen in England so schnell vonstatten gehe. Die Zubereitungen dauerten fast eine Viertelstunde. Ich ärgere mich noch heute, wenn ich daran denke, mit welcher Langsamkeit dem armen Menschen die Schlinge um den Hals gelegt und die weiße Nachtmütze über die Augen gezogen wurde. Neben ihm standen seine Freunde, vielleicht die Genossen der Schule, wozu er gehörte, und harrten des Augenblicks, wo sie ihm den Liebesdienst erweisen konnten; dieser Liebesdienst besteht darin, daß sie den gehenkten Freund, um seine zuckende Todesqual abzukürzen, so stark als möglich an den Beinen ziehen.

Ich habe von Herrn Gustav Pfizer geredet, weil ich ihn, bei Besprechung der schwäbischen Schule, nicht füglich übergehen konnte. Soviel darf ich versichern, daß ich in der Heiterkeit meines Herzens nicht den mindesten Unmut wider Herrn Pfizer empfinde. Im Gegenteil, sollte ich je imstande sein, ihm einen Liebesdienst zu erweisen, so werde ich ihn gewiß nicht lange zappeln lassen.

––– Und nun laß uns ernsthaft reden, lieber Leser; was ich dir jetzt noch zu sagen habe, verträgt sich nicht mit dem scherzenden Tone, mit der leichtsinnig guten Laune, die mich beseelte, während ich diese Blätter schrieb. Es liegt mir drückend etwas im Sinne, was ich nicht mit ganz freier Zunge zu erörtern vermag und worüber dennoch das unzweideutigste Geständnis nötig wäre. Ich hege nämlich eine wahre Scheu bei Gelegenheit – der schwäbischen Schule auch von Ludwig Uhland zu sprechen, von dem großen Dichter, den ich schier zu beleidigen fürchte, wenn ich seiner in so kläglicher Gesellschaft gedenke. Und dennoch, da die erwähnten Dichterlinge den Ludwig Uhland zu den Ihrigen zählen oder gar für ein Haupt ihrer Genossen ausgeben, so könnte man hier jedes Verschweigen seines Namens als eine Unredlichkeit betrachten. Weit entfernt, an seinem Werte zu mäkeln, möchte ich vielmehr die Verehrung, die ich seinen Dichtungen zolle, mit den volltönendsten Worten an den Tag geben. Es wird sich mir bald dazu eine passendere Gelegenheit bieten. Ich werde alsdann zur Genüge zeigen, daß sich in meiner früheren Beurteilung des trefflichen Sängers zwar einige grämliche Töne, einige zeitliche Verstimmungen einschleichen konnten, daß ich aber nie die Absicht hegte, an seinem inneren Werte, an seinem Talente selbst, eine Ungerechtigkeit zu begehen. Nur über die literärhistorischen Beziehungen, über die äußeren Verhältnisse seiner Muse, habe ich unumwunden eine Ansicht, die vielleicht seinen Freunden mißfällig, aber darum dennoch nicht minder wahr ist, aussprechen müssen. Als ich nämlich Ludwig Uhland im Zusammenhang mit der »Romantischen Schule« in dem Buche, welches ebendiesen Namen führt, flüchtig beurteilte, habe ich deutlich genug nachgewiesen, daß der vortreffliche Sänger nicht eine neue, eigentümliche Sangesart auf gebracht hat, sondern nur die Töne der romantischen Schule gelehrig nachsprach; daß, seitdem die Lieder seiner Schulgenossen verschollen sind, Uhlands Gedichtesammlung als das einzig überlebende lyrische Denkmal jener Töne der romantischen Schule zu betrachten ist; daß aber der Dichtet selbst, ebensogut wie die ganze Schule, längst tot ist. Ebensogut wie Schlegel, Tieck, wie Fouqué ist auch Uhland längst verstorben und hat vor jenen edlen Leichen nur das größere Verdienst, daß er seinen Tod wohl begriffen und seit zwanzig Jahren nichts mehr geschrieben hat. Es ist wahrlich ein ebenso widerwärtiges wie lächerliches Schauspiel, wenn jetzt meine schwäbischen Dichterlinge den Uhland zu den Ihrigen zählen, wenn sie den großen Toten aus seinem Grabmal hervorholen, ihm ein Fallhütchen aufs Haupt stülpen und ihn in ihr niedriges Schulstübchen hereinzerren – oder wenn sie gar den erblichenen Helden, wohlgeharnischt, aufs hohe Pferd packen, wie einst die Spanier ihren Cid, und solchermaßen gegen die Ungläubigen, gegen die Verächter der schwäbischen Schule, losrennen lassen!

Das fehlt mir noch, daß ich auch im Gebiete der Kunst mit Toten zu kämpfen hätte! Leider muß ich es oft genug in anderen Gebieten, und ich versichere euch, bei allen Schmerzen meiner Seele, solcher Kampf ist der fatalste und verdrießlichste. Da ist keine glühende Ungeduld, die da hetzt Hieb auf Hieb, bis die Kämpfer wie trunken hinsinken und verbluten. Ach, die Toten ermüden uns mehr, als sie uns verwunden, und der Streit verwandelt sich am Ende in eine fechtende Langeweile. Kennst du die Geschichte von dem jungen Ritter, der in den Zauberwald zog? Sein Haar war goldig, auf seinem Helm wehten die kecken Federn, unter dem Gitter des Visiers glühten die roten Wangen, und unter dem blanken Harnisch pochte der frischeste Mut In dem Walde aber flüsterten die Winde sehr sonderbar. Gar unheimlich schüttelten sich die Bäume, die manchmal, häßlich verwachsen, an menschliche Mißbildungen erinnerten. Aus dem Laubwerk guckte hie und da ein gespenstisch weißer Vogel, der fast verhöhnend kicherte und lachte. Allerlei Fabelgetier huschte schattenhaft durch die Büsche. Mitunter freilich zwitscherte auch mancher harmlose Zeisig und nickte aus den breitblättrigen Schlingpflanzen manch stille schöne Blume. Der junge Fant aber, immer weiter vordringend, rief endlich mit Übertrotz: »Wann erscheint denn der Kämpe, der mich besiegen kann?« Da kam, nicht eben rüstig, aber doch nicht allzu schlotterig, herangezogen ein langer, magerer Ritter mit geschlossenem Visier und stellte sich zum Kampfe. Sein Helmbusch war geknickt, sein Harnisch war eher verwittert als schlecht, sein Schwert war schartig aber vom besten Stahl, und sein Arm war stark. Ich weiß nicht, wie lange die beiden miteinander fochten, doch es mag wohl geraume Zeit gedauert haben, denn die Blätter fielen unterdessen von den Bäumen, und diese standen lange kahl und frierend, und dann knospeten sie wieder aufs neue und grünten im Sonnenschein, und so wechselten die Jahrzeiten – ohne daß sie es merkten, die beiden Kämpfer, die beständig aufeinander loshieben, anfangs unbarmherzig wild, später minder heftig, dann sogar etwas phlegmatisch, bis sie endlich ganz und gar die Schwerter sinken ließen und erschöpft ihre Helmgitter aufschlossen – das gewährte einen betrübenden Anblick! Der eine Ritter, der herausgeforderte Kämpe, war ein Toter, und aus dem geöffneten Visier grinste ein fleischloser Schädel. Der andere Ritter, der als junger Fant in den Wald gezogen, trug jetzt ein verfallen fahles Greisenantlitz, und sein Haar war schneeweiß. – Von den hohen Bäumen herab, wie verhöhnend, kicherte und lachte das gespenstisch weiße Gevögel.



Geschrieben zu Paris, im Wonnemond 1838


© Wolfgang Fricke