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Heinrich Heine
Die Romantik

Heines erste Prosaarbeit, veröffentlicht im »Rheinisch-westphälischen Anzeiger. Kunst und Wissenschaftsblatt« 1820, Nr. 31 (18. August 1820).

DIE ROMANTIK

Was Ohnmacht nicht begreift, sind Träumereien.
A. W. v. Schlegel


Numero 12, 14 und 27 des Kunst- und Unterhaltungsblatts enthält eine alte, aber neu aufgewärmte und neu glossierte Satire wider Romantik und romantische Form. Ob man zwar eine solchen Satire eigentlich nur mit einer Gegensatire entgegnen sollte, so ist es dennoch die Frage, ob man hierdurch der Sache selbst nutzen würde. Numero 124 der »Hall. allg. Literatur-Zeitung« enthält die Rezension einer solchen Gegensatire, deren Wirkung auf die Gegenpartei dieselbe zu sein scheint, welche auch jene Karfunkel- und Solaris-Satiren auf die Romantiker ausgeübt haben, nämlich - Achselzucken. Ich wenigstens möchte daher nicht ohne Aussicht, dadurch nutzen zu können, also bloß des Scherzes halber, von einer Sache sprechen, von der die Ausbildung des deutschen Wortes fast ausschließlich abhängt. Denn wenn man auf den Rock schlägt, so trifft der Hieb auch den Mann, der im Rocke steckt, und wenn man über die poetische Form des deutschen Wortes spöttelt, so läuft auch manches mit unter, wodurch das deutsche Wort selbst verletzt wird. Und dieses Wort ist ja eben unser heiligstes Gut, ein Grenzstein Deutschlands, den kein schlauer Nachbar verrücken kann, ein Freiheitswecker, dem kein fremder Gewaltiger die Zunge lähmen kann, eine Oriflamme in dem Kampfe für das Vaterland, ein Vaterland selbst demjenigen, dem Torheit und Arglist ein Vaterland verweigern.

Ich will daher mit wenigen Worten, ohne polemische Ausfälle, und ganz unbefangen, meine subjektiven Ansichten über Romantik und romantische Form hier mitteilen.

Im Altertum, das heißt eigentlich bei Griechen und Römern, war die Sinnlichkeit vorherrschend. Die Menschen lebten meins in äußern Anschauungen, und ihre Poesie hatte vorzugsweise das Äußere, das Objektive, zum Zweck und zugleich zum Mittel der Verherrlichung. Als aber ein schöneres und milderes Licht im Orient aufleuchtete, als die Menschen anfingen zu ahnen, daß es noch etwas Besseres gibt als Sinnenrausch, als die unüberschwenglich beseligende Idee des Christentums, die Liebe, die Gemüter zu durchschauern begann: da wollten auch die Menschen diese geheimen Schauer, diese unendliche Wehmut und zugleich unendliche Wollust mit Worten ausspreche, und besingen. Vergebens suchte man nun durch die alten Bilder und Worte die neuen Gefühle zu bezeichnen. Es mußten jetzt neue Bilder und neue Worte erdacht werden, und just solche, die, durch eine geheime, sympathetische Verwandtschaft mit jenen neuen Gefühlen, diese letztern zu jeder Zeit im Gemüte erwecken und gleichsam heraufbeschwören konnten. So entstand die sogenannte romantische Poesie, die in ihrem schönsten Lichte im Mittelalter aufblühete, späterhin vom kalten Hauch der Kriegs- und Glaubensstürme traurig dahinwelkte, und in neuerer Zeit wieder lieblich aus dem deutschen Boden aufsproßte und ihre herrlichsten Blumen entfaltete. Es ist wahr, die Bilder der Romantik sollten mehr erwecken als bezeichnen. Aber nie und nimmermehr ist dasjenige die wahre Romantik, was so viele dafür ausgeben; nämlich: ein Gemengsel von spanischem Schmelz, schottischen Nebeln und italienischem Geklinge, verworrene und verschwimmende Bilder, die gleichsam aus einer Zauberlaterne ausgegossen werden, und durch buntes Farbenspiel und frappante Beleuchtung seltsam das Gemüt erregen und ergötzen. Wahrlich, die Bilder, wodurch jene romantischen Gefühle erregt werden sollen, dürfen ebenso klar und und mit ebenso bestimmten Umrissen gezeichnet sein, als die Bilder der plastischen Poesie. Diese romantischen Bilder sollen an und für sich schon ergötzlich sein; sie sind die kostbaren, goldenen Schlüssel, womit, wie alte Märchen sagen, die hübschen, verzauberten Feengärten aufgeschlossen werden. So kommt es, daß unsre zwei größten Romantiker, Goethe und A. W. v. Schlegel, zu gleicher Zeit auch unsre größten Plastiker sind. In Goethes »Faust« und Liedern sind dieselben reinen Umrisse wie in der »Iphigenie«, in »Hermann und Dorothea«, in den Elegien usw.; und in den romantischen Dichtungen Schlegels sind dieselben sicher und bestimmt gezeichneten Konturen, wie in dessen wahrhaft plastischen »Rom«. Oh, möchten dies doch endlich diejenigen beherzigen, die sich so gern Schlegelianer nennen. -

Viele aber, die bemerkt haben, welchen ungeheuren Einfluß das Christentum, und in dessen Folge das Rittertum, auf die romantische Poesie ausgeübt haben, vermeinen nun beides in ihren Dichtungen einmischen zu müssen, um denselben den Charakter der Romantik aufzudrücken. Doch glaube ich, Christentum und Rittertum waren nur Mittel, um der Romantik Eingang zu verschaffen; die Flamme derselben leuchtet schon längst auf dem Altar unserer Poesie; kein Priester braucht noch geweihtes Öl hinzuzugießen, und kein Ritter braucht mehr bei ihr die Waffenwacht zu halten. Deutschland ist jetzt frei; kein Pfaffe vermag mehr die deutschen Geister einzukerkern; kein adeliger Herrscherling vermag mehr die deutschen Leiber zur Fron zu peitschen, und deshalb soll auch die deutsche Muse wieder ein freies, blühendes, unaffektiertes, ehrlich deutsches Mädchen sein, und kein schmachtendes Nönnchen, und kein ahnenstolzes Ritterfräulein.

Möchten doch viele diese Ansicht teilen! dann gäbe es bald keinen Streit mehr zwischen Romantikern und Plastikern. Doch mancher Lorbeer muß welken, ehe wieder das Ölblatt auf unserm Parnassus hervorgrünt.


© Wolfgang Fricke