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Heinrich Heine
Lutetia – Erster Teil






XII

Paris, 12. Juni 1840


Der Ritter Spontini bombardiert in diesem Augenblick die armen Pariser mit Briefen, um zu jedem Preis das Publikum an seine verschollene Person zu erinnern. Es liegt in diesem Augenblick ein Zirkular vor mir, das er an alle Zeitungsredaktoren schickt und das keiner drucken will aus Pietät für den gesunden Menschenverstand und Spontinis alten Namen. Das Lächerliche grenzt hier ans Sublime. Diese peinliche Schwäche, die sich im barockesten Stil ausspricht oder vielmehr ausärgert, ist ebenso merkwürdig für den Arzt wie für den Sprachforscher. Ersterer gewahrt hier das traurige Phänomen einer Eitelkeit, die im Gemüt immer wütender auflodert, je mehr die edlern Geisteskräfte darin erlöschen; der andere aber, der Sprachforscher, sieht, welch ein ergötzlicher Jargon entsteht, wenn ein starrer Italiener, der in Frankreich notdürftig etwas Französisch gelernt hat, dieses sogenannte Italiener-Französisch während eines fünfundzwanzigjährigen Aufenthalts in Berlin ausbildete, so daß das alte Kauderwelsch mit sarmatischen Barbarismen gar wunderlich gespickt ward. Das Zirkular ist vom Februar datiert, ward aber neuerdings wieder hergeschickt, weil Signor Spontini hört, daß man hier sein berühmtes Werk wieder aufführen wolle, welches nichts als eine Falle sei – eine Falle, die er benutzen will, um hierher berufen zu werden. Nachdem er nämlich gegen seine Feinde pathetisch deklamiert hat, setzt er hinzu: »Et voilà justement le nouveau piège que je crois avoir deviné, et ce qui me fait un impérieux devoir de m'opposer, me trouvant absent, à la remise en scène de mes opéras sur le théâtre de l'Académie royale de musique, à moins que je ne sois officiellement engagé moi-même par l'administration, sous la garantie du Ministère de l'intérieur, à me rendre à Paris, pour aider de mes conseils créateurs les artistes (la tradition de mes opéras étant perdue), pour assister aux répétitions et contribuer au succès de la 'Vestale', puisque c'est d'elle qu'il s'agit.« Das ist noch die einzige Stelle in diesen Spontinischen Sümpfen, wo fester Boden; die Pfiffigkeit streckt hier ihre länglichten Ohren hervor. Der Mann will durchaus Berlin verlassen, wo er es nicht mehr aushalten kann, seitdem die Meyerbeerschen Opern dort gegeben werden, und vor einem Jahr kam er auf einige Wochen hierher und lief von Morgen bis Mitternacht zu allen Personen von Einfluß, um seine Berufung nach Paris zu betreiben. Da die meisten Leute hier ihn für längst verstorben hielten, so erschraken sie nicht wenig ob seiner plötzlichen geisterhaften Erscheinung. Die ränkevolle Behendigkeit dieser toten Gebeine hatte in der Tat etwas Unheimliches. Herr Duponchel, der Direktor der Großen Oper, ließ ihn gar nicht vor sich und rief mit Entsetzen: »Diese intrigante Mumie mag mir vom Leibe bleiben; ich habe bereits genug von den Intrigen der Lebenden zu erdulden!« Und doch hatte Herr Moritz Schlesinger, Verleger der Meyerbeerschen Opern – denn durch diese gute, ehrliche Seele ließ der Ritter seinen Besuch bei Herrn Duponchel voraus ankündigen –, alle seine glaubwürdige Beredsamkeit aufgeboten, um seinen Empfohlenen im besten Lichte darzustellen. In der Wahl dieser empfehlenden Mittelsperson bekundete Herr Spontini seinen ganzen Scharfsinn. Er zeigte ihn auch bei andern Gelegenheiten; z.B. wenn er über jemand räsonierte, so geschah es gewöhnlich bei dessen intimsten Freunden. Den französischen Schriftstellern erzählte er, daß er in Berlin einen deutschen Schriftsteller festsetzen lassen, der gegen ihn geschrieben. Bei den französischen Sängerinnen beklagte er sich über deutsche Sängerinnen, die sich nicht bei der Berliner Oper engagieren wollten, wenn man ihnen nicht kontraktlich zugestand, daß sie in keiner Spontinischen Oper zu singen brauchten!

Aber er will durchaus hierher; er kann es nicht mehr aushalten in Berlin, wohin er, wie er behauptet, durch den Haß seiner Feinde verbannt worden und wo man ihm dennoch keine Ruhe lasse. Dieser Tage schrieb er an die Redaktion der »France musicale«: seine Feinde begnügten sich nicht, daß sie ihn über den Rhein getrieben, über die Weser, über die Elbe; sie möchten ihn noch weiter verjagen, über die Weichsel, über den Njemen! Er findet große Ähnlichkeit zwischen seinem Schicksal und dem Napoleonschen. Er dünkt sich ein Genie, wogegen sich alle musikalischen Mächte verschworen. Berlin ist sein Sankt Helena und Rellstab sein Hudson Lowe. Jetzt aber müsse man seine Gebeine nach Paris zurückkommen lassen und im Invalidenhause der Tonkunst, in der Académie royale de musique, feierlich beisetzen. –

Das Alpha und Omega aller Spontinischen Beklagnisse ist Meyerbeer. Als mir hier in Paris der Ritter die Ehre seines Besuches schenkte, war er unerschöpflich an Geschichten, die geschwollen von Gift und Galle. Er kann die Tatsache nicht ableugnen, daß der König von Preußen unsern großen Giacomo mit Ehrenbezeugungen überhäuft und darauf bedacht ist, denselben mit hohen Ämtern und Würden zu betrauen, aber er weiß dieser königlichen Huld die schnödesten Motive anzudichten. Am Ende glaubt er selbst seine eignen Erfindungen, und mit einer Miene der tiefsten Überzeugung versicherte er mir: als er einst bei Sr. Majestät dem König gespeist, habe Allerhöchstderselbe nach der Tafel mit heiterer Offenherzigkeit gestanden, daß er den Meyerbeer tun jeden Preis an Berlin fesseln wolle, damit dieser Millionär sein Vermögen nicht im Auslande verzehre. Da die Musik, die Sucht, als Opernkomponist zu glänzen, eine bekannte Schwäche des reichen Mannes sei, suche er, der König, diese schwache Seite zu benutzen, um den Ehrgeizigen durch Auszeichnungen zu ködern. – »Es ist traurig«, soll der König hinzugesetzt haben, »daß ein vaterländisches Talent, das ein so großes, fast geniales Vermögen besitzt, in Italien und Paris seine guten preußischen harten Taler vergeuden mußte, um als Komponist gefeiert zu werden – was man für Geld haben kann, ist auch bei uns in Berlin zu haben, auch in unsern Treibhäusern wachsen Lorbeerbäume für den Narren, der sie bezahlen will, auch unsre Journalisten sind geistreich und lieben ein gutes Frühstück oder gar ein gutes Mittagessen, auch unsre Eckensteher und Sauregurkenhändler haben zum Beifallklatschen ebenso derbe Hände wie die Pariser Claque – ja wenn unsre Tagediebe, statt in der Tabagie, ihre Abende im Opernhause zubrächten, um die 'Hugenotten' zu applaudieren, würde auch ihre Ausbildung dadurch gewinnen – die niedern Klassen müssen sittlich und ästhetisch gehoben werden, und die Hauptsache ist, daß Geld unter die Leute komme, zumal in der Hauptstadt.« – Solcherweise, versicherte Spontini, habe sich Se. Majestät geäußert, um sich gleichsam zu entschuldigen, daß er ihn, den Verfasser der »Vestalin«, dem Meyerbeer sakrifiziere. Als ich bemerkte, daß es im Grunde sehr löblich sei, wenn ein Fürst ein solches Opfer bringe, um den Wohlstand seiner Hauptstadt zu fördern – da fiel mir Spontini in die Rede: »Oh, Sie irren sich, der König von Preußen protegiert die schlechte Musik nicht aus staatsökonomischen Gründen, sondern vielmehr, weil er die Tonkunst haßt und wohl weiß, daß sie zugrunde gehen muß durch Beispiel und Leitung eines Mannes, der ohne Sinn für Wahrheit und Adel nur der rohen Menge schmeicheln will.«

Ich konnte nicht umhin, dem hämischen Italiener offen zu gestehen, daß es nicht klug von ihm sei, dem Nebenbuhler alles Verdienst abzusprechen. – »Nebenbuhler!« rief der Wütende und wechselte zehnmal die Farbe, bis endlich die gelbe wieder die Oberhand behielt – dann aber, sich fassend, frug er mit höhnischem Zähnefletschen: »Wissen Sie ganz gewiß, daß Meyerbeer wirklich der Komponist der Musik ist, die unter seinem Namen aufgeführt wird?« Ich stutzte nicht wenig ob dieser Tollhausfrage, und mit Erstaunen hörte ich, Meyerbeer habe in Italien einigen armen Musikern ihre Kompositionen abgekauft und daraus Opern verfertigt, die aber durchgefallen seien, weil der Quark, den man ihm geliefert, gar zu miserabel war. Später habe er von einem talentvollen Abate zu Venedig etwas Besseres erstanden, welches er dem »Crociato« einverleibte. Er besitze auch Webers hinterlassene Manuskripte, die er der Witwe abgeschwatzt und woraus er gewiß später schöpfen werde. »Robert le Diable« und die »Hugenotten« seien größtenteils die Produktion eines Franzosen, welcher Gouin heiße und herzlich gern unter Meyerbeers Namen seine Opern zur Aufführung bringe, um nicht sein Amt eines Chef de bureau an der Post einzubüßen, da seine Vorgesetzten gewiß seinem administrativen Eifer mißtrauen würden, wenn sie wüßten, daß er ein träumerischer Komponist; die Philister halten praktische Funktionen für unvereinbar mit artistischer Begabnis, und der Postbeamte Gouin ist klug genug, seine Autorschaft zu verschweigen und allen Weltruhm seinem ehrgeizigen Freund Meyerbeer zu überlassen. Daher die innige Verbindung beider Männer, deren Interessen sich ebenso innig ergänzen. Aber ein Vater bleibt immer Vater, und dem Freund Gouin liegt das Schicksal seiner Geisteskinder beständig am Herzen; die Details der Aufführung und des Erfolgs von »Robert le Diable« und den »Hugenotten« nehmen seine ganze Tätigkeit in Anspruch, er wohnt jeder Probe bei, er unterhandelt beständig mit dem Operndirektor, mit den Sängern, den Tänzern, dem Chef de claque, den Journalisten; er läuft mit seinen Transtiefeln ohne Lederstrippen von morgens bis abends nach allen Zeitungsredaktionen, um irgendein Reklam zugunsten der sogenannten Meyerbeerschen Opern anzubringen, und seine Unermüdlichkeit soll jeden in Erstaunen setzen.

Als mir Spontini diese Hypothese mitteilte, gestand ich, daß sie nicht aller Wahrscheinlichkeit ermangle und daß, obgleich das vierschrötige Äußere, das ziegelrote Gesicht, die kurze Stirn, das schmierig schwarze Haar des erwähnten Herrn Gouin viel mehr an einen Ochsenzüchter oder Viehmäster als an einen Tonkünstler erinnere, dennoch in seinem Benehmen manches vorkomme, das ihn in den Verdacht bringe, der Autor der Meyerbeerschen Opern zu sein. Es passiert ihm manchmal, daß er »Robert le Diable« oder die »Hugenotten« »unsere Oper« nennt. Es entschlüpfen ihm Redensarten wie: »Wir haben heute eine Repetition« – »Wir müssen eine Arie abkürzen.« Auch ist es sonderbar, bei keiner Vorstellung jener Opern fehlt Herr Gouin, und wird eine Bravourarie applaudiert, vergißt er sich ganz und verbeugt sich nach allen Seiten, als wolle er dem Publiko danken. Ich gestand dieses alles dem grimmigen Italiener; »aber dennoch«, fügte ich hinzu, »trotzdem daß ich mit eigenen Augen dergleichen bemerkt, halte ich Herrn Gouin nicht für den Autor der Meyerbeerschen Opern; ich kann nicht glauben, daß Herr Gouin die 'Hugenotten' und 'Robert le Diable' geschrieben habe; ist es aber doch der Fall, so muß gewiß die Künstlereitelkeit am Ende die Oberhand gewinnen, und Herr Gouin wird öffentlich die Autorschaft jener Opern für sich vindizieren«.

»Nein«, erwiderte der Italiener mit einem unheimlichen Blick, der stechend wie ein blankes Stilett, »dieser Gouin kennt zu gut seinen Meyerbeer, als daß er nicht wüßte, welche Mittel seinem schrecklichen Freunde zu Gebote stehen, um jemand zu beseitigen, der ihm gefährlich ist. Er wäre kapabel, unter dem Vorwande, sein armer Gouin sei verrückt geworden, denselben auf ewig in Charenton einsperren zu lassen, und der arme Schelm dürfte noch froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Alle, die jenem Ehrgeizling hindernd im Wege stehen, müssen weichen. Wo ist Weber? wo Bellini? Hum! Hum!«

Dieses »Hum! Hum!« war trotz aller unverschämten Bosheit so drollig, daß ich nicht ohne Lachen die Bemerkung machte: »Aber Sie, Maestro, Sie sind noch nicht aus dem Wege geräumt, auch nicht Donizetti oder Mendelssohn oder Rossini oder Halévy.« – »Hum! Hum!« war die Antwort, »Hum! Hum! Halévy geniert seinen Konfrater nicht, und dieser würde ihn sogar dafür bezahlen, daß er nur existiere, als ungefährlicher Scheinrival, und von Rossini weiß er, durch seine Späher, daß derselbe keine Note mehr komponiert – auch hat Rossinis Magen schon genug gelitten, und er berührt kein Piano, um nicht Meyerbeers Argwohn zu erregen. Hum! Hum! Aber gottlob! nur unsere Leiber können getötet werden, nicht unsere Geisteswerke; diese werden in ewiger Frische fortblühen, während mit dem Tode jenes Cartouche der Musik auch seine Unsterblichkeit ein Ende nimmt und seine Opern ihm folgen ins stumme Reich der Vergessenheit!«

Nur mit Mühe zügelte ich meinen Unwillen, als ich hörte, mit welcher frechen Geringschätzung der welsche Neidhart von dem großen, hochgefeierten Meister sprach, welcher der Stolz Deutschlands und die Wonne des Morgenlandes ist und gewiß als der wahre Schöpfer von »Robert le Diable« und den »Hugenotten« betrachtet und bewundert werden muß! Nein, so etwas Herrliches hat kein Gouin komponiert! Bei aller Verehrung für den hohen Genius wollen freilich zuweilen bedenkliche Zweifel in mir aufsteigen in betreff der Unsterblichkeit dieser Meisterwerke nach dem Ableben des Meisters, aber in meiner Unterredung mit Spontini gab ich mir doch die Miene, als sei ich überzeugt von ihrer Fortdauer nach dem Tode, und um den boshaften Italiener zu ärgern, machte ich ihm im Vertrauen eine Mitteilung, woraus er ersehen konnte, wie weitsichtig Meyerbeer für das Gedeihen seiner Geisteskinder bis über das Grab hinaus gesorgt hat. »Diese Fürsorge«, sagte ich, »ist ein psychologischer Beweis, daß nicht Herr Gouin, sondern der große Giacomo der wirkliche Vater sei. Derselbe hat nämlich in seinem Testament zugunsten seiner musikalischen Geisteskinder gleichsam ein Fideikommiß gestiftet, indem er jedem ein Kapital vermachte, dessen Zinsen dazu bestimmt sind, die Zukunft der armen Waisen zu sichern, so daß auch nach dem Hinscheiden des Herrn Vaters die gehörigen Popularitätsausgaben, der eventuelle Aufwand von Flitterstaat, Claque, Zeitungslob usw., bestritten werden können. Selbst für das noch ungeborne Prophetchen soll der zärtliche Erzeuger die Summe von 150000 Taler preuß. Cour. ausgesetzt haben. Wahrlich, noch nie ist ein Prophet mit einem so großen Vermögen zur Welt gekommen; der Zimmermannssohn von Bethlehem und der Kameltreiber von Mekka waren nicht so begütert. 'Robert le Diable' und die 'Hugenotten' sollen minder reichlich dotiert sein; sie können vielleicht auch einige Zeit vom eigenen Fette zehren, solange für Dekorationspracht und üppige Ballettbeine gesorgt ist; später werden sie Zulage bedürfen. Für den 'Crociato' dürfte die Dotation nicht so glänzend ausfallen; mit Recht zeigt sich hier der Vater ein bißchen knickerig, und er klagt, der lockere Fant habe ihm einst in Italien zuviel gekostet; er sei ein Verschwender. Desto großmütiger bedenkt Meyerbeer seine unglückliche, durchgefallene Tochter 'Emma di Resburgo'; sie soll jährlich in der Presse wieder aufgeboten werden, sie soll eine neue Ausstattung bekommen und erscheint in einer Prachtausgabe von Satin-Velin; für verkrüppelte Wechselbälge schlägt immer am treuesten das liebende Herz der Eltern. Solcherweise sind alle Meyerbeerschen Geisteskinder gut versorgt, ihre Zukunft ist verassekuriert für alle Zeiten.« –

Der Haß verblendet selbst die Klügsten, und es ist kein Wunder, daß ein leidenschaftlicher Narr, wie Spontini, meine Worte nicht ganz bezweifelte. – Er rief aus: »Oh! er ist alles fähig! Unglückliche Zeit! Unglückliche Welt!«

Ich schließe hier, da ich ohnehin heute sehr tragisch gestimmt bin und trübe Todesgedanken über meinen Geist ihre Schatten werfen. Heute hat man meinen armen Sakoski begraben, den berühmten Lederkünstler – denn die Benennung Schuster ist zu gering für einen Sakoski. Alle marchands bottiers und fabricants de chaussures von Paris folgten seiner Leiche. Er ward achtundachtzig Jahre alt und starb an einer Indigestion. Er lebte weise und glücklich. Wenig bekümmerte er sich um die Köpfe, aber desto mehr um die Füße seiner Zeitgenossen. Möge die Erde dich ebensowenig drücken wie mich deine Stiefel!






© Wolfgang Fricke