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Offener Brief »An die Hohe Bundesversammlung«
als Reaktion auf den Bundestagsbeschluß vom 10. Dezember 1835 (Verbot der Schriften des »Jungen Deutschland«)

Veröffentlicht in Augsburger »Allgemeine Zeitung« und »Hamburger Correspondent«



Mit tiefer Betrübnis erfüllt mich der Beschluß, den Sie in Ihrer 31. Sitzung von 1835 gefaßt haben. — Ich gestehe Ihnen, meine Herren, zu dieser Betrübnis gesellt sich auch die höchste Verwunderung. Sie haben mich angeklagt, gerichtet und verurteilt, ohne daß Sie mich weder mündlich noch schriftlich vernommen, ohne daß jemand mit meiner Verteidigung beauftragt worden, ohne daß irgend eine Ladung an mich ergangen. So handelte nicht in ähnlichen Fällen das heilige römische Reich, an dessen Stelle der deutsche Bund getreten ist; Doktor Martin Luther, gloreichen Andenkens, durfte, versehen mit freiem Geleite, vor dem Reichstag erscheinen, und sich frei und öffentlich gegen alle Anklagen verteidigen. Fern ist von mir die Anmaßung, mich dem hochteuren Mann zu vergleichen, der uns die Denkfreiheit in religiösen Dingen erkämpft hat; aber der Schüler beruft sich gern auf das Beispiel des Meisters. Wenn Sie, meine Herren, mir nicht freies Geleit bewilligen wollen, mich vor Ihnen in Person zu verteidigen, so bewilligen Sie mir wenigstens freies Wort in der deutschen Druckwelt und nehmen Sie das Interdikt zurück, welches Sie gegen alles, was ich schreibe. verhängt haben. — Diese Worte sind keine Protestation, sondern nur eine Bitte. Wenn ich mich gegen etwas verwahre, so ist es allenfalls gegen die Meinung des Publikums, welches mein erzwungenes Stillschweigen für ein Eingeständnis strafwürdiger Tendenzen oder gar für ein Verleugnen meiner Schriften ansehen könnte. Sobald mir das freie Wort vergönnt ist, hoffe ich bündigst zu erweisen, daß meine Schriften nicht aus irreligiöser und moralischer Laune, sondern aus einer wahrhaft religiösen und moralischen Synthese hervorgegangen sind, einer Synthese, welcher nicht bloß eine neue literarische Schule, benamst das junge Deutschland, sondern unsere gefeiertsten Schriftsteller, sowohl Dichter als Philosophen, seit langer Zeit gehuldigt haben. — Wie aber auch, meine Herren, Ihre Entscheidung über meine Bitte ausfalle, so seien Sie doch überzeugt, daß ich immer den Gesetzen meines Vaterlandes gehorchen werde. — Der Zufall, daß ich mich außer dem Bereiche Ihrer Macht befinde, wird mich nie verleiten, die Sprache des Haders zu führen; ich ehre in Ihnen die höchsten Autoritäten einer geliebten Heimat. Die persönliche Sicherheit, die mir der Aufenthalt im Auslande gewährt, erlaubt mir glücklicherweise, ohne Besorgnis für Mißdeutung, Ihnen, meine Herren, in geziemender Untertänigkeit die Versicherung meiner tiefsten Ehrfurcht darzubringen.

Paris, Cité Bergère No. 3, den 28. Januar 1836
Heinrich Heine, beider Rechte Doktor.




An seinen Verleger Julius Campe schreibt Heine zu dem Verbot seiner Schriften und über seine Reaktion weniger untertänig am 4. Februar 1836:

[...] Das ganze dünkt mir ein Schreckschuß zu sein. Auf jeden Fall aber habe ich es für nötig gehalten, die alten Perücken ein bißchen zu streicheln, und mein kindlich syroblich submisser Brief wird wohl eine gute Wirkung hervorgebracht haben. Der Bundestag wird gerührt sein. Jeder behandelt ihn wie einen Hund, und da wird ihm meine Höflichkeit um so wohler tun. Messeigneurs! Vos Seigneuries! Das ist ihm noch nicht geboten worden. Seht, wird er sagen, das ist einmal ein Mensch, welcher menschlich fühlt! welcher uns nicht wie einen Hund behandelt! Und diesen edlen Menschen haben wir verfolgen wollen! haben wir für irreligiös, für unmoralisch erklärt! — Und sechsunddreißig Taschentücher werden von bundestäglichen Tränen benetzt werden. [...]


© Wolfgang Fricke